Gedankenstrom und Klarheit

In einer Einführung zur Zen-Meditation fordert der Zen-Lehrer Albert Low (1928-2016) seine Leser zu einem kurzen Experiment auf: Sie sollen den Sekundenzeiger einer Uhr zwei Minuten lang beobachten und sich dabei die ganze Zeit bewusst halten, dass sie beobachten. Es selber ausprobiert zu haben, bietet beim weiteren Lesen des Textes einen Vorteil.

Was haben Sie festgestellt? Wenige Menschen sind in der Lage, den Sekundenzeiger für volle 2 MInuten zu beobachten. Nach wenigen Minuten stellen die meisten fest, dass ihre Gedanken sie wegtragen und anstatt den Sekundenzeiger zu beobachten, landen sie bei der Frage “Was soll das überhaupt?”, “Was soll ich heute abend machen?”, “Soll ich das weiter lesen?”, “Was bringt mir das Lesen überhaupt?” und so weiter. Kurz gesagt, verlieren sie sich in einem Strom von Gedanken. Es ist aber auch wichtig zu bemerken, dass an einem gewissen Punkt, bevor die Gedanken zu fließen beginnen, der Geist klar ist. Es ist dieser Moment der Klarheit, der viele davon überzeugt, dass das Experiment Zeitverschwendung ist – letzten Endes scheint hier nichts Brauchbares zu passieren – und deshalb brechen sie es ab.

Dieser Augenblick der Klarheit ist tatsächlich ein Hinweis darauf, dass wir bereits erwacht sind. Diese Klarheit hat uns jedoch auch hereingelegt: Sie hat uns veranlasst, das Experiment nicht fortzusetzen. Wir schlussfolgern, dass wenn wir Gedanken für einen Augenblick aufheben können, Gedanken auch minutenlang aufheben können, sogar Stunden, wenn wir es wirklich wollen. Aber Versuche, das Experiment fortzusetzen, zeigen, dass dieses Zwischenspiel der Klarheit flüchtig und schwer wieder herzustellen ist. Wir werden beständig im Strom der Gedanken fortgetragen. Genau dies sollte uns davon überzeugen, dass eine gewisse Form der inneren Arbeit notwendig ist. Diese Gedanken, über die wir so wenig Kontrolle haben, die ständig wie Bienen umher schwärmen, stammen aus einem Leben der Emotion und Spannung. Wir werden von ihnen versklavt und oft so vollständig, dass wir nicht mal von einem Leben frei von ihnen träumen können.

Doch ist der Augenblick der Klarheit sehr wichtig: Er zeigt – wenn auch nur vage, schemenhaft und unvollkommen -, dass der Strom der Gedanken nicht alles ist. (Es ist jedoch auch wichtig zu erkennen, dass unsere kleine Übung nur ein Experiment ist und keine Form von Praxis.) Klarheit der Wahrnehmung ist weder ein Gedanke noch ist sie von einem Gedanken abhängig. Im Gegenteil sind Gedanken von ihr abhängig, sind in der Tat eine Form von Wahrnehmung. Menschen glauben oft, dass sie die Gedanken sind, dass wenn die Gedanken aufhören, auch sie in gewisser Weise verschwinden würden. Aber dem ist nicht so. Wir sind das, aus dem die Gedanken gemacht sind. Wir sind Wahrnehmung, unreflektierte Wahrnehmung, “Wissen” ohne Form, grenzenlos und zeitlos. Aus Gedanken heraus entsteht der Anschein von Begrenzung. Auf diese Weise tragen sie uns von der Klarheit weg, so wie Wolken die Sonne bedecken, obwohl die Sonne weiterhin scheint. Den ganzen Tag lang strömen Gedanken durch den Geist und den ganzen Tag lang reagieren wir auf sie – Sorgen, Wut. Gereiztheit, Furcht und Hass: eine ununterbrochene Reaktion auf diesen Strom von Gedanken.

Klarheit wird dadurch nicht nur durch Bilder und Formen, Gedanken und Urteile, die durch den Geist fließen, verdeckt, sondern auch durch die emotionalen Reaktionen darauf. Außerdem versuchen wir ständig, uns einen Reim auf all diese Gedanken und Emotionen zu machen, versuchen sie zu ordnen und in eine Reihenfolge zu bringen. Es ist wie der Versuch, eine Mischung aus Puzzleteilen zu ordnen, bei denen viele Teile fehlen und deren vorhandene Teile ständig ihre Form und Beziehung zueinander verändern. Deshalb versuchen wir den Teilen unseren Willen aufzuzwingen und sie in eine bestimmte Form zu zwängen. Wir versuchen sie durch eine Anstrengung des Willens zu kombinieren und zu separieren, versuchen absichtlich etwas in Gang zu setzen und anderes zu verhindern. Es ist diese Willensanstrengung, die die Dinge in “dies und das”, “mich und dich” usw. aufspaltet. Darüber hinaus ist es dieses vollkommene Durcheinander von Puzzleteilen, das wir Bewusstsein nennen, das jetzt diese Klarheit verdeckt, obwohl es ursprünglich aus dem klaren Wissen hervorgegangen ist.

Meine Übersetzung von Albert Low, Zen Meditation Plain and Simple (1989), S. 40-43.

Ruhe des Geistes

In der ruhigen Objektivität des Forschens liegt bereits ein wichtiger Schritt, die Ruhe des Geistes zu finden. Auch gegen spielerisches Erforschen ist überhaupt nichts einzuwenden. Doch im Alltag – auch im wissenschaftlichen Alltag – spielt nicht ein souveränes, aufgeklärtes Bewußtsein, sondern ängstigt sich ein von tausend suchenden Gedanken hin- und herjagendes Ich, eingekeilt zwischen Hoffnung und Furcht, bewegt durch das Nichtwissen um die eigene, leere Natur. Erst wenn diese Leere entdeckt wird, kann es ein Vertrauen in die eigene Natur geben, das sehr viel mehr zählt als alle vergänglichen Gewißheiten der Wissenschaften. Der chinesische Zen-Meister Linji sagt: “Euch fehlt das Selbstvertrauen, darum ist euer Geist immerzu auf der Suche. Ihr sucht kopflos euren eigenen Kopf, könnt euch keine Ruhe gönnen.” Was die Wissenschaftler in ihrer Suche finden – das Gehirn, Evolutionsprozesse oder die Formel, die alles erklären soll – ist zweifellos wichtig und kann viele Funktionen erfüllen; zugleich sind diese Erkenntnisse die sichere Bürgschaft, die Ruhe des Geistes, die Leerheit, zu verfehlen. Denn es gilt, was Novalis sagt: “Dem Geist ist Ruhe eigentümlich.” Eben deshalb kann keine wissenschaftliche Erkenntnis die wirklichen Lebensfragen (Glück, Vergänglichkeit, Leiden, Tod) beantworten.

Karl-Heinz Brodbeck, Der Zirkel des Wissens, Aachen: Shaker Verlag, 2002, S. 241.

Reifung oder Erstarrung?

In Zusammenarbeit mit dem Spirituellen Zentrum Nürnberg biete ich vom 21. – 22. November 2014 ein Seminar an.

Reifung oder Erstarrung?

Die befreiende Kraft der Seele gegen die Herrschaft der Matrix

Die Krise unserer Zeit hat im Filmklassiker “Matrix” Gestalt angenommen: Maschinen saugen unsere Energie ab und missbrauchen Imagination zur Versklavung. Wie können wir erkennen, wenn wir uns von unserer ursprünglichen Natur (Seele) entfremden? Auf welchen Wegen kommen wir in Kontakt mit ihr? Wir wollen der Frage nachgehen, was Weisheit in den spirituellen Traditionen mit Reife in der persönlichen Entwicklung zu tun hat. In Gruppenarbeit setzen wir unsere eigene Imaginationskraft ein, um durch Bilder und Geschichten aus West und Ost Leitlinien für Reife und Weisheit abzuleiten, die unser eigenes Leben reich machen.

 

max. 20 Teilnehmer

Termin Freitag, 21.11.2014 von 18.30 – 21.00 Uhr und Samstag, 22.11.2014 von 10.00 – –17.30 Uhr (Abschluss gemeinsames Abendessen)
Veranstaltungsnummer H125
Leitung Peter Pfandt, Religionswissenschaftler, Unternehmensberater, Publizist
Kosten Kosten: 95 Euro | 60 Euro inkl. Abendessen am Samstag
Zeit Freitag, 21.11.2014 von 18.30 – 21.00 Uhr
Samstag, 22.11.2014 von 10.00 – 17.30 Uhr (Abschluss gemeinsames Abendessen)
Ort eckstein – Meditationsraum 5.01
Burgstr. 1-3
90403 Nürnberg
Veranstaltungsart Seminar
Anmeldung erforderlich Ja
Anmeldung bis Anmeldung bis 06.11.2014

Rückkehr in die Seele

Am 5. Juni 2014 werde ich im Spirituellen Zentrum in Nürnberg den hier beschriebenen Vortrag halten. Im Herbst ist ein Seminar zu einem ähnlichen Thema geplant.

Rückkehr in die Seele: Wiederbesiedlung einer fremd gewordenen Heimat

Dass sich Geist und Natur zu Widersachern entwickelt haben, scheint eine zentrale Ursache der gegenwärtigen Systemkrise zu sein. Der von der Ratio beherrschte Mensch findet sich auf Dauer in Ökologie- und Finanzkrisen wieder. Vielfältige spirituelle Ansätze der Gegenwart halten dagegen: Sie suchen den Erfahrungsraum, der an die Wurzel des Widerspruchs zwischen Mensch und Welt geht. Heilt die Wiederentdeckung der Seele den Konflikt? Wie beziehen sich die neuen spirituellen Heilungsbewegungen auf vorhandene religiöse Traditionen wie Buddhismus und Christentum? Ein Abend darüber, wie die Seele von einem vieldeutigen Begriff zu einer lebendigen Erfahrung wird.

Internet-Link

 

Veranstaltungsnummer F 91
Leitung Peter Pfandt, Religionswissenschaftler, Unternehmensberater, Publizist
Kosten 5 Euro / 3 Euro
Zeit Donnerstag, 05.06.2014, 19.30 Uhr
Ort eckstein – Großer Saal E.01
Burgstr. 1-3
90403 Nürnberg

Macht

“Wer Macht hat, repariert nur und versucht, die Ergebnisse zu manipulieren. Wer keine Macht hat, muß sich selber wandeln.”

Richard Rohr in Dietrich Koller, Heilige Anarchie, Claudius, 1999, S. 216

Arbeit mit unserer Motivation

“Meditation ist Arbeit mit unserer Motivation, mit unserer, d.h. auch mit der sozialen Form dieser Motivation – der Geldgier, dem Machtstreben, dem Wettbewerbsdenken, dem Erfolgsstreben und den tausend Eitelkeiten der Selbstdarstellung im Wahn der Konsum- und Medienwelten. Etwas Entspannung auf dem Sitzkissen, dann wieder die ganze Wucht des alltäglichen Unsinns, der es immer wieder schafft, unseren Geist zu kontaminieren – das ist zu wenig. Deshalb sollten wir daran arbeiten, engagiert, geduldig, friedlich und in enger Zusammenarbeit mit anderen Gruppen und Denkschulen auch der großen, der kollektiven Verblendung schrittweise die täuschende Macht zu entziehen.”

Karl-Heinz Brodbeck (http://www.ursache.at/spiritualitaet/ethik/300-der-mittlere-weg-)

Emerging Church

Die “sich entfaltende Kirche” ist ein relativ neues Phänomen in ganz unterschiedlichen christlichen Denominationen, bei dem kleinere Gruppen von Menschen mit einer breiten Palette von Standpunkten sich in einem übergreifenden Dialog als Teil einer gemeinsamen Bewegung sehen. Auch das CAC von Richard Rohr versteht sich als Mitglied dieser wachsenden Gemeinschaft und hat gerade eine Konferenz zum Thema organisiert.

Über den Ablauf und die Inhalte der Konferenz können Interessierte etwas auf den Blog-Seiten des Teilnehmers Carl McColman (siehe diesen und die nachfolgenden Einträge) nachlesen. Diese Form von Kirche könnte das Christentum am Leben erhalten. Nachdem die Amtskirche in ihrer Form erstarrt ist, haben sich in Deutschland in der Vergangenheit bereits kleine Gruppierungen als “Hüter des Feuers” erwiesen, die mit dem Oberbegriff “Kirche von unten” zusammengefaßt werden können. Vertretern dieser Bewegung wird man wieder auf dem evangelischen Kirchentag in Bremen (20.-24. Mai) begegnen können. Richard Rohr ist auch da und wird außer bei einem Vortrag “Mann, wo bist du?” auch auf dem Stand des Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm zu finden sein. Leider ist diese Information in der Programm-Datenbank des Kirchentages nicht zu finden.

“… eine Kirche der kleinen Einheiten, der persönlichen Beziehungen. Ganz unterschiedliche Gemeinden und Einzelpersonen finden sich hier zusammen. Was sie vereint, ist der Glaube daran, dass authentische Persönlichkeiten wichtiger sind als eine perfekte Organisation.”

Dieser Text aus dem Faltblatt der Ankündigung eines Studientages mit Richard Rohr in Hamburg am 8. Juni zum Thema “Wie sieht die Zukunft der Kirchen aus” fasst noch einmal gut zusammen, was “emerging church” bedeutet und welche Bedeutung sie in der Zukunft gewinnen könnte.