Hier hat (mal wieder) eine Frau den Faden (nicht nur dem Namen nach) aufgenommen:
Die poetische Revolution fordert den Einzelnen auf, seine Haltung zu den Dingen zu ändern. Sie beschreibt den Moment, wo ich aus dem Wetter da draußen mein Wetter mache. Oder aus einem Menschen, den ich nicht kenne, jemanden, den ich mag. Wenn die Ökonomisierung die Alchemie der Entfremdung ist, ist das Poetische eine Alchemie der Aneignung. Man verleiht den Dingen Bedeutung durch die Liebe und Aufmerksamkeit, die man ihnen widmet. Und daraus entstehen immer wieder neue Geschichten, entsteht immer wieder neuer Sinn. …
Der Kapitalismus scheint immer noch wie etwas, das Außerirdische auf der Erde eingepflanzt haben, um uns zu verknechten. Aber wir haben ihn selbst geschaffen! Wir haben diese hässlichen Bürotürme gebaut, wir haben das Plastik ins Meer gekippt, wir haben die Erde geplündert für Konsum und Profit. Hier geht es um eine aufgeklärte Aufklärung, denn nicht Gott hat die Welt gemacht, sondern wir Menschen. Der neue Twist ist: Wir sind aber nicht allein hier. Die Natur ist da, die Pflanzen, die Tiere. Gerade müssen uns sogar Jugendliche wie Greta Thunberg daran erinnern, indem sie sagen: Entschuldigt mal, so geht das nicht weiter. Diese maßlose, rücksichtslose, ignorante Bereicherung muss ein Ende haben. …
Unsere westliche Kultur – damit meine ich alle Länder, die durch eine antike, christliche und koloniale Vergangenheit verbunden sind – hat das Denken vor das Dasein gestellt und das Machbare vor das Brauchbare. Der Weg aus der Krise beginnt damit, wieder über das Brauchbare nachzudenken. Was Menschen beispielsweise am glücklichsten macht, sind tiefe soziale Beziehungen. Wir wissen das alles. Das ist so spannend an dieser Zeit: Wir wissen alles und machen alles falsch.
Ariadne von Schirach in der taz vom 7.5.2019