Einsamkeit

Die ökonomischen Strukturen, die die junge Generation betreffen, sind so sehr auf Disruption, Unverlässlichkeit, Veränderung, Flexibilität und Anpassung gepolt, dass das genau die Tugenden sind, die wir dann in unser Kultur­leben übersetzen. Ich bin dann oberflächlich und flüchtig. Anders als bei den Senioren sind bei den Jungen ja schon alle zusammen. Es entsteht aber trotzdem keine Intimität. Denn man kann auch Beziehungen und soziale Anerkennung konsumieren. Wir können Zwischen­menschliches zu Konsum­gütern degradieren. Die ökonomische Unsicherheit, der vor allem die junge Generation ausgesetzt ist, führt dazu, dass wir uns Intimität nicht mehr trauen und nicht in etwas investieren, wenn wir das Gefühl haben: Erstens setzt es mich meiner eigenen Gefühls­welt aus, und ich zeige eine Verletzlichkeit, die mich bei einem Rückschlag um Jahre zurückwirft. Zweitens: Warum sollte ich mich entscheiden, wenn ich lerne, dass die anderen sich auch nicht entscheiden? Diese ökonomische Durch­dringung sorgt dafür, dass wir unfähig sind zur Intimität.

Das Einsamkeits-Paradigma bedeutet ja, dass ich das Gefühl habe, ich bin allein damit. Und es gibt eine neue Wirtschaft, die Solidarität absichtlich zerschlägt und Menschen einreden möchte, dass sie Individuen sind. Ich habe «Individuum» immer für eine sehr ermächtigende Vokabel gehalten, dachte, damit gehen immer ein Privilegium und Freiheiten einher. Das kann aber auch zerschlagen, dass ich mich mit anderen zusammen­gehörig fühle. Ein sozialer Aufstand, den ich mir als konservativer Mensch natürlich über Partizipations­modelle in der Wirtschaft wünsche, ist sehr unwahrscheinlich geworden. Weil die Leute gar nicht erkennen, dass sie in der gleichen Lage sind.

In dieser Unverbundenheit war ich gar nicht traurig, weil ich andere Menschen vermisst habe, sondern auf eine Art mich selber. Diese Unverbundenheit zu einem selbst ist eine der grössten Ursachen dafür, warum wir uns einsam fühlen. Das hat eben auch was mit der jungen Generation allgemein zu tun. Wenn ich zehn unbezahlte Praktika mache, all die Projekte wieder aufhören und ich mir nichts ansparen kann, dann habe ich in dieser ständigen Hetzjagd gar kein emotionales Investment, um mich mit Leuten zu verbinden.

Diana Kinnert in republik.ch, 02.03.2021

Der Faden

Hier hat (mal wieder) eine Frau den Faden (nicht nur dem Namen nach) aufgenommen:

Die poetische Revolution fordert den Einzelnen auf, seine Haltung zu den Dingen zu ändern. Sie beschreibt den Moment, wo ich aus dem Wetter da draußen mein Wetter mache. Oder aus einem Menschen, den ich nicht kenne, jemanden, den ich mag. Wenn die Ökonomisierung die Alchemie der Entfremdung ist, ist das Poetische eine Alchemie der Aneignung. Man verleiht den Dingen Bedeutung durch die Liebe und Aufmerksamkeit, die man ihnen widmet. Und daraus entstehen immer wieder neue Geschichten, entsteht immer wieder neuer Sinn. …

Der Kapitalismus scheint immer noch wie etwas, das Außerirdische auf der Erde eingepflanzt haben, um uns zu verknechten. Aber wir haben ihn selbst geschaffen! Wir haben diese hässlichen Bürotürme gebaut, wir haben das Plastik ins Meer gekippt, wir haben die Erde geplündert für Konsum und Profit. Hier geht es um eine aufgeklärte Aufklärung, denn nicht Gott hat die Welt gemacht, sondern wir Menschen. Der neue Twist ist: Wir sind aber nicht allein hier. Die Natur ist da, die Pflanzen, die Tiere. Gerade müssen uns sogar Jugendliche wie Greta Thunberg daran erinnern, indem sie sagen: Entschuldigt mal, so geht das nicht weiter. Diese maßlose, rücksichtslose, ignorante Bereicherung muss ein Ende haben. …

Unsere westliche Kultur – damit meine ich alle Länder, die durch eine antike, christliche und koloniale Vergangenheit verbunden sind – hat das Denken vor das Dasein gestellt und das Machbare vor das Brauchbare. Der Weg aus der Krise beginnt damit, wieder über das Brauchbare nachzudenken. Was Menschen beispielsweise am glücklichsten macht, sind tiefe soziale Beziehungen. Wir wissen das alles. Das ist so spannend an dieser Zeit: Wir wissen alles und machen alles falsch.

Ariadne von Schirach in der taz vom 7.5.2019

Entmündigung durch Algorithmen

Was uns Google als Faktum präsentiert, ist womöglich keines, doch wir haben die Suchmaschine bereits dermaßen internalisiert, dass wir Wissen und Googeln gleichsetzen und ihr die Rolle eines Schiedsrichters zuschreiben. …

Googles Algorithmen bestimmen autoritativ, was relevant und sagbar ist. Das ist im Grunde völlig antiaufklärerisch, weil das Wissen über das Wissen gar nicht transparent gemacht und dem Nutzer schon gar kein kritisches Hinterfragen mehr zugebilligt, geschweige denn zugetraut wird. Das Wissen über uns wird nicht etwa demokratisiert, sondern landet als Datenaggregat in den Serverfarmen der Tech-Giganten.

Adrian Lobe in der FAS vom 18.12.2016, S. 52.